Vom Unsinn biologistischer Sichtweisen auf Elternschaft
Von Wölkchen
Eltern, das sind doch die Leute, die andere Leute großziehen. Die, die Kinder im Idealfall unterstützen, ihnen Anerkennung geben, ihnen ihre eigenen Haltungen und Ansichten ein Stück weit mitgeben und die Kinder (hoffentlich) so akzeptieren, wie sie sind. Diejenigen, die Kinder waschen, wickeln, füttern, ihnen Taschengeld geben, sie trösten, ins Bett bringen, zur Kinderärztin begleiten und so weiter und so fort. Eltern, das sind doch Mutter und Vater, die Leute, die das Kind miteinander gezeugt haben. Vielleicht sogar verliebt ineinander sind und eine Liebesbeziehung miteinander führen. Eltern sind mit ihren Kindern (biologisch) verwandt und haben gesetzlich festgelegte Rechte und Pflichten. Oder?!
So oder so ähnlich geben es gesellschaftliche Normen vor. Elternschaft kann aber auch anders gelebt werden. Soziale Elternschaft ist eine mögliche Form und Bezeichnung für aktive Elternschaft ohne biologische Verwandtschaft. Und um soziale Elternschaft geht es in diesem Beitrag. Ich schreibe auf der Basis meiner Erfahrungen als sozialer Elternteil in einer Konstellation mit drei Elternteilen für ein Kind.
Ich kann sicherlich nicht alle Entwürfe, die gelebt werden abbilden und mitdenken. Hoffentlich gelingt es mir dennoch, vielfältige Aspekte von Elternschaft einzubeziehen und aufzuzeigen, dass Elternschaft und Biologie nicht zusammen gehören (müssen).
Was ist Elternschaft?
Was soll das also sein – soziale Elternschaft? Und Elternschaft überhaupt? Formal wird unterschieden zwischen biologischer, rechtlicher und sozialer Elternschaft. Biologische Elternschaft zielt auf die Zeugung des Kindes ab, rechtliche Elternschaft auf Rechte und Pflichten für (biologische) Eltern, soziale Elternschaft beschreibt die Zuwendung und Verantwortungsübernahme für das Kind. Manche Elternteile erfüllen alle drei Kategorien von Elternschaft, manche nicht. Soziale Elternteile können in Deutschland aktuell lediglich eine soziale Elternschaft übernehmen, sie sind per se nicht mit biologischen oder rechtlichen Elternteilen gleichgestellt. Sie haben – vor dem Gesetz – weder elterliche Rechte noch elterliche Pflichten. Soziale Elternteile könnten zum Beispiel Pflegeeltern, Elternteile in Regenbogenfamilien, Pateneltern oder (Stief-)Elternteile in Patchworkfamilien sein. In vielen dieser Konstellationen bestehen Liebesbeziehungen zwischen den Elternteilen. Mir scheint es eine ziemlich gefestigte Erwartungshaltung zu sein, dass Menschen, die gemeinsam elterliche Verantwortung für ein Kind übernehmen, auch eine Liebesbeziehung miteinander führen (sollen). Elternschaft und romantische Liebe zwischen den Elternteilen sind für viele Menschen vorerst eine logische, vorgegebene Verbindung. Klar, es gibt Eltern, die sich voneinander trennen und dennoch weiterhin – mehr oder weniger gemeinsam – für ihre Kinder sorgen. Aber auch die waren vermutlich mal ineinander verliebt. Na gut, es gibt Eltern, die hatten nur (ein)mal Sex miteinander und sorgen dennoch – mehr oder weniger gemeinsam – für das Kind oder die Kinder, die gewollt oder ungewollt entstanden sind. Die waren (vielleicht) nicht ineinander verliebt. Und es gibt Eltern, die waren nie ineinander verliebt und hatten nie Sex miteinander. Elternteile ohne liebesromantische Beziehung miteinander könnten zum Beispiel Mitbewohner*innen oder Freund*innen sein. Es gibt auch Leute, die finden sich gezielt zusammen, um gemeinsam Verantwortung für Kind_er zu übernehmen.
Vorannahmen über soziale Elternteile
Elternschaft ohne romantische Liebe und Sex? Diese Idee ist nicht die Neueste. In Krisensituationen, beispielsweise während Kriegen, können sich Familienverhältnisse verschieben und biologische Verwandtschaft in den Hintergrund treten. Zwischen Eltern und Kindern, die in Adoptiv- oder Pflegefamilien zusammen leben, kann eine stärkere Bindung bestehen als in Familien, in denen alle biologisch miteinander verwandt sind.
Obwohl es schon immer Familienkonstellationen gab, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen, stößt die bewusste Entscheidung für eine soziale Elternschaft häufig auf Unverständnis, Missbilligung oder umgekehrt auf übertriebene Anerkennung. Davon können sowohl soziale als auch biologische Elternteile betroffen sein.
Soziale Elternteile müssen sich von Anderen fragen lassen, was für sie bei der Sache rausspringt – schließlich haben sie doch keinerlei Rechte und der biologische Elternteil kann sich jederzeit anders entscheiden oder gar verlieben und dann mit dem Kind und dem*der neuen Partner*in ein neues Leben anfangen. Und wenn der soziale Elternteil sich verlieben sollte, ist auch ganz klar, dass eigene Kinder mit dem*der Partner*in entstehen werden und das andere Kind da nicht mithalten kann. So ein Leben mit Kindern ist ja auch viel Arbeit, da wird man doch mal fragen dürfen, warum Leute das so völlig freiwillig tun sollten. Na und überhaupt, ist ja nett, andere zu unterstützen, aber es ist eben doch nicht das eigene Kind. Klingt scheiße? Ist es auch.
Da möchte ich zurück fragen: Warum sollte die Entscheidung, gemeinsam Verantwortung für ein Kind zu übernehmen ungültig werden, wenn neue Liebschaften ins Spiel kommen? Welcher Elternteil hat wirklich das Interesse, ein Kind von einer Person fern zu halten, zu der es eine sichere und liebevolle Bindung hat? Was soll dieses eigene Kind sein? Ein Kind ist ein Mensch und kein Gegenstand, ergo gehört es auch keiner anderen Person.
Das war ein kleiner Auszug aus möglichen negativen Reaktionen mit denen soziale Elternteile konfrontiert sein können. Einige der geschilderten Situationen habe ich bereits selbst erlebt. Überhöhte Anerkennung ist eine weitere von vielen möglichen Reaktionen: Es ist doch ein ganz besonderes Engagement, ein Kind wie das eigene anzunehmen oder ein Akt der Selbstlosigkeit, weil eine ja nichts dafür bekommt. Eine tolle Hilfe für den_die biologischen Elternteil_e, oder ein Beweis für wahre Freund*innenschaft. Ich frage mich, warum anderen (hier den biologischen) Eltern nicht Selbstlosigkeit und Engagement zugesprochen wird, wenn sie Verantwortung für Kinder übernehmen.
Vorannahmen über biologische Elternteile
Biologische Elternteile, die ihre Verantwortung mit sozialen Elternteilen teilen sind oft mit ähnlichen Annahmen konfrontiert. Über sie selbst wird häufig angenommen, dass sie nicht in der Lage sind, sich allein um ein Kind zu kümmern. Auch Desinteresse am Kind oder Faulheit können Unterstellungen sein. Außerdem bringen sie sich doch selbst in eine missliche Lage, da der soziale Elternteil sich jederzeit verlieben und_oder um-entscheiden und dann für immer weg sein könnte. Und was ist, wenn der soziale Elternteil Kinder gebärt oder zeugt und die dann viel lieber mag als das andere Kind? Klingt scheiße? Ist es auch.
An dieser Stelle möchte ich die Frage einfach mal umdrehen: Welcher Mensch sieht sich in der Lage, völlig allein und ohne jede Unterstützung ein Kind groß zu ziehen?
… aber doch nicht in der linksradikalen Blase!?
Nun werden sich einige Leser*innen zurücklehnen und denken, dass solche Äußerungen und Gedanken aus kleinbürgerlichen Köpfen kommen und wir in unseren linken Zusammenhängen viel weiter sind. Für viele Kreise – und insbesondere auch für Einzelpersonen – mag das stimmen. Viele Leute in linken Zusammenhängen leben in Konstellationen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen und auch in diesem Text keine Erwähnung finden. Dennoch wirken gesellschaftliche Normen auch in Subkulturen. So ist die Idee von zwei Elternteilen pro Kind auch in linken Zusammenhängen weit verbreitet – sind es mehr, bedarf es einer Erklärung. Nachfragen werden nicht immer in respektvoller Weise gestellt und spontane Reaktionen können verletzend ausfallen – ein Beispiel hierfür steckt in der Überschrift dieses Textes, geäußert von einer Person aus eben dieser linksradikalen Blase. Als mir diese Person zurief „Du bist aber nicht die Mutter“, ging es leider nicht um (meine) Kritik am Begriff Mutter, sondern mir wurde im direkten Kontakt die Elternschaft abgesprochen. Diese konkrete Situation wurde nie aufgelöst, da ich schlichtweg sprachlos war und die betreffende Person vermutlich bis heute nicht weiß, wie unangenehm dieser scheinbar unproblematische Ausruf war. Situationen wie diese sind aber – auch in linksradikalen Kreisen – leider keine Einzelfälle. Aus solchen Zusammenhängen wünsche ich mir mehr Sensibilität für nicht-normierte Lebensentwürfe, schließlich ist die Kritik an Normierungen doch ein wichtiger Aspekt vieler linkspolitischer Perspektiven.
Möglicher Umgang mit Bürokratie
Unverständnis, Missbilligung und übertriebene Anerkennung Hin oder Her. Für viele Menschen ist soziale Elternschaft längst Alltag. Viele behelfen sich mit Vollmachten, die zum Beispiel für eine Reise mit Kind_ern ausgestellt werden, damit aus dem gemeinsamen Ausflug keine Kindesentführung gemacht werden kann. Einiges lässt sich auch ganz ohne Bürokratie organisieren, zum Beispiel durch gemeinsames selbstbewusstes Auftreten in der kinderärztlichen Praxis. Letztlich drücken Kinder ihre Zugehörigkeit_en in Interaktionen klar aus und schaffen damit Tatsachen für die es kein Papier braucht. Dennoch wären gesetzliche Regelungen für viele Personen sicherlich eine Erleichterung. Ein erster Schritt auf rechtlicher Ebene könnte sein, mehr als zwei Eltern pro Kind offiziell zuzulassen – mit allen Rechten und Pflichten. Egal, welchen Geschlechts, welcher Identität, welcher Beziehung zwischen den Eltern.
Autor*in:
Wölkchen lebt mit Wahlfamilie und WG in Berlin und ist (mit)verantwortlich für ein Kleinkind. Wölkchen ist ein sozialer Elternteil und sucht dafür noch einen cooleren Begriff. Für den Alltag findet Wölkchen Elternteil die beste Bezeichnung für alle Eltern. Wölkchen hat studiert und lohnarbeitet seit ein paar Jahren. Wölkchen ist weiß, hat einen deutschen Pass. Wölkchen ist genderfluide. Das heißt: Wölkchen ist weder ein Mann, noch eine Frau. Diese Positionierungen beeinflussen Wölkchens Sicht auf die Welt und Wölkchens Erfahrungen.