Von Ricarda Montag
Mein ganzes Leben über war ES schon völlig klar. ES lag vor mir, ausgebreitet, wie ein Ausmalbild für das ich nur noch die Farben wählen muss und los geht’s. Mein zukünftiges Kind. Seit ich mich erinnern kann immer Sätze mit „wenn du mal Kinder hast“ „wenn ich dann Oma bin dann..“ oder „und wie machst du das dann mit den Kindern wenn du im Hausprojekt wohnst?/Wenn du nicht arbeiten willst?“ Meine gesamte Jugend lang ging mein Umfeld so sehr davon aus, dass sie eine zukünftige Mutter vor sich hatten wenn sie mit mir unterwegs waren, dass ich angefangen hab es selbst zu glauben. Diese Vorstellung von mir selbst hat sich auch noch eine ganze Weile gehalten, als ich schon mit Kindern und Eltern zusammenlebte. Jetzt zwar mit etwas mehr Skepsis, mit weniger Verklärung und mehr Blick für die vielen Stunden verpassten Schlaf oder Entspannung in der Hängematte, aber immer noch mit der klaren Annahme, dass ich mir eigentlich nur noch auszusuchen habe in welchem von diesen Modellen ich denn meine Kinder großziehen würde.
Meine Herkunfts-Kleinfamilie ist gescheitert; dann werd ich eben in ner WG wohnen. In der WG sind irgendwie doch vor allem die Eltern zuständig; wenn ich Kinder hab dann in der richtigen Gruppe. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen mit irgendeinem Partner ein Kind zu haben; dann werd ich halt Alleinerziehend und besorg mir irgendwie Spermien.
Und trotzdem, jedesmal wenn ich wieder bangend auf meine Tage wartete, schien mir völlig klar – wenn es ein Kind gibt, will ich es nicht. Trotz enger Freundinnenschaften, trotz Hausprojekt, trotz Ideen davon wie ich gerne mit Kindern lebe, trotz verlässlicher Partnerschaft, trotz Gelassenheit und Zuneigung im Umgang mit Kindern, trotz Flexibilität, trotz dem Gefühl von allgemeinem Rückhalt in einer Gemeinschaft. Ich wollte dieses Kind nicht. Vielleicht hätte ich das noch ne Weile weiter gedacht und irgendwann dann doch eins gekriegt, weil man das halt irgendwie so macht und ich ja Kinder mag und es ja auch nicht so richtig Gründe dagegen gibt oder so.
Als ich dann diese ganzen Punkte erreicht hatte, von denen ich in der Schule immer schon erzählt hatte (Gemeinschaft, Hausprojekt, Erfahrung mit Kindern, jung aber nicht mehr zuu jung, vielleicht ein*e Partner*in mit der Elternschaft cool sein könnte) gab es auch ein, zwei konkrete Gespräche darüber, wie das mit dem Kinder kriegen eigentlich gut und richtig wäre. Uns war klar, auf keinen Fall zu zweit. Eher zu dritt oder zu viert. Aber wenn ich jetzt einfach schwanger werde und von meinen engen Beziehungen Support erwarte, kommt es mir eigentlich auch unfair vor. Also vorher gemeinsam planen. Und dann müssten wir ja auch entscheiden, wer denn eigentlich schwanger wird und von wem. Wie sollen wir denn sowas bitte entscheiden? Und wie finde ich mich eigentlich mit 3+ Eltern zusammen…Naja, und in der Nähe voneinander wohnen, oder vielleicht gemeinsam im Hausprojekt. Und was ist mit den rechtlichen Sachen? Ergeben sich da nicht Hierarchien, wenn manche rechtlich anerkannt sind und andere nicht? Was wenn wir uns trennen? Bei dem Versuch, so eine Elternschaft so durchzudenken, dass möglichst viele bekannte patriarchale Fallstricke ausgeschaltet werden fühlte es sich mindestens an wie ne ganz schön große Aufgabe…
Aber: Ich lebe bereits mit Kindern, manchmal wecken sie mich und manchmal bring ich sie nachts zurück ins Bett wenn sie Angst haben. Manchmal machen sie mich wahnsinnig mit ihrem Lärm und manchmal erzähle ich meiner Mama verzückt von ihren neuesten Fähigkeiten und meinen Erlebnissen mit Ihnen. Manchmal wünsche ich mir, sie würden sich mehr auf mich beziehen und manchmal freue ich mich wie verrückt wenn sie mir ihre Zuneigung zeigen. Sie sind nicht „Meine“ und ich fühle mich auch nicht als Elternteil. Und trotzdem bin ich auch schon mehr als nur eine Bekannte für sie.
Ich liebe Kinder. Aber immer wenn ich darüber nachdenke, ob ich selbst mal Eltern sein will, fällt mir auf, an wie vielen Stellen der Gedanke daran, so vollständig für einen anderen Menschen, für sein Wohlbefinden, seine psychische Gesundheit und seine Zukunft verantwortlich zu sein, mir Unwohlsein bereitet. Mich schreckt das ab daran zu denken, wie ein Kind, für das ich viel aufgeben oder verändern müsste, irgendwann zu mir kommt und sagt „Mama, du hast mein Leben versaut. Immer machst du….“ und wenn ich mich umschaue kommt es mir vor, als wäre das ein Vorwurf, den fast alle meine Freund*innen ihren Eltern machen oder machen könnten. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, mit einem Kind allein gelassen zu werden und allein verantwortlich sein zu müssen. Ich bin nicht bereit dazu.
Und es fühlt sich auch nicht so an, als müsse ich bereit dazu werden. Denn ich lebe schon mit Kindern. Und ich bin eine Bezugsperson für sie. Ich will für Kinder die Person sein, zu der sie gerne kommen um zu spielen, oder mit der sie reden, wenn sie was auf dem Herzen haben, oder der sie vertrauen wenn was schief geht. Ich will wer sein, den sie als Anker verstehen und am liebsten will ich ihnen dabei helfen mit der Welt klar zu kommen und zu wissen, was ihnen gut tut. Und vielleicht ist das sogar einfacher, wenn ich ein Nicht-Eltern bin. Solange ich in Gemeinschaften lebe, in denen es Ideen von geteilter Care- und Kinderbegleitungsarbeit gibt, ist es auch für mich eine schöne und erfüllende Sache Nicht-Eltern zu sein, ohne dass ich mir die Frage stellen muss, ob ich selbst Kinder zur Welt bringen muss, „um nichts zu verpassen.“
Autor*in:
Ricarda Montag versucht sich seit einigen Jahren am Leben in Gemeinschaft, fragt sich regelmäßig was die richtige politische Arbeit im Falschen ist, arbeitet an Bewegungsinfrastruktur und lebt in einer klasse Zweierbeziehung die eigentlich nicht ganz so polyamor ist wie sie vorgibt zu sein.