von Almut
Klammer auf Die Theorie wischt der Praxis nicht den Arsch ab Klammer zu Punkt
So steht der Satz, den wir uns als Titel für unser Projekt geliehen haben, in einer Broschüre, die 1969 erschien – also während des kulturellen Aufbruchs der 68er-Bewegung, die das Alltagsleben in der BRD revolutionieren sollte. Ob man die Perspektive des Textes teilt oder nicht, ob man sich an der Sprache des Textes reibt oder nicht – es kann nur verblüffen, wie sehr die knappen Schilderungen des Kommunelebens mit Kindern von damals an die Probleme von heute erinnern, die auch unsere Autor*innen umtreiben.
Der Textausschnitt ist selbst nur ein kleiner Ausschnitt aus einer Vielzahl an Erfahrungen und Experimenten in den späten Sechzigern und Siebzigern. Für alle, die sich auch heute in ein Kommune- oder WG-Leben mit Anspruch begeben, würde sich sicher ein Blick in die Vergangenheit anhand solcher Texte lohnen, um die eigenen Ansprüche mit der Realität der tatsächlichen Praxis im eigenen Lebenszusammenhang abzugleichen. Sind wir eigentlich weiter als damals? Haben sich unsere Ansprüche verändert? Und in welchem Maße hat sich unsere Praxis im Zusammenhang mit diesen Ansprüchen gewandelt? Stichworte für eine Reflektion der eigenen Praxis sind der Umgang mit und Planung von Schwangerschaft (darf man einfach so schwanger werden? Aus der damaligen Kommune 1 in West-Berlin musste die schwangere Frau ausziehen); unterschiedliche Erziehungsstile gegenüber Kindern und die gewünschten Rollen füreinander (zwischen Mitbewohner, Spieleonkel und Bezugsperson), der Wunsch nach Nähe oder Distanz unter den „Kommune“-Mitgliedern (leben wir verbindlich miteinander oder wohnen wir einfach zeitweise zusammen, halt auch mit Kindern?); was bedeutet denn heruntergebrochen auf den eigenen Alltag die Revolutionierung von Care aka Reproduktionsarbeit?
Der Hintergrund des Textes sind das Elend der Kleinfamilie und die Enge der Paarbeziehung – davor soll die Kommune als alternativer Lebenszusammenhang gerade auch Paaren mit Kindern einen Ausweg weisen: „Diese Lage läßt sich nur durch die Kommune, das Kollektiv, das ständig zusammenlebt und arbeitet, verändern.“ So weit die theoretische Einsicht damals. Was passierte dann, als die Mutigen, die in den späten 60ern den Schritt in WG- und Kommuneexperimente wagten, ihre politischen Ansprüche auf reale Menschen, also auf ihre Kinder, auf Eltern, sich selbst, auf die Kinder anderer anzuwenden begannen? Damals wie heute zeigt/e sich eines ganz deutlich: nämlich, dass die bloße politische Einsicht, dass die Kleinfamilie ein zu überwindendes Übel sei, zwar wichtige Voraussetzung ist, jedoch nicht ausreicht, um alle Beteiligten im Alltag und über die Jahre zu tragen. Ironischerweise fehlt etwas, das ausgerechnet in der Kleinfamilie dann doch noch am ehesten vorhanden wäre, weil diese Kleinfamilie sonst nicht entstanden wäre – etwas wie Liebe, authentische Zuneigung, mindestens Sympathie – ein „irrationaler Faktor“ wie es im damaligen Text heißt: „Jetzt zeigen sich als unerläßliche Vorbedingungen nicht nur gleiches Problembewusstsein sondern auch ein irrationaler Faktor, den man gewöhnlich als ‚Sympathie‘ bezeichnet (…)“
Das kontinuierliche Scheitern linksalternativer Lebenszusammenhängne mit Kindern scheint wesentlich daran zu liegen, dass ein schlüssig begründeter politischer Anspruch – nämlich die feministische Care Revoultion – schlicht nicht ausreicht, um utopische Versuche dauerhaft leben zu können. Dieser Liebes-Faktor kann alle in alle Richtungen erwischen: man hat das Kind der anderen nicht ausreichend lieb, um es auch in nervigen Zeiten zu ertragen geschweige denn liebevoll begleiten zukönnen; man hat in Wahrheit vielleicht keine geteilten Interessen mit den anderen Erwachsenen, nur weil man zufällig politische Ansichten teilt; man findet die Mitbewohnerin nach einer gewissen Zeit dann doch überwiegend nervig.
Es gilt, dass sich alle, die ihre Köpfe in solchen alternativen Lebenszusammenhängen zusammenstecken wollen, ehrlich fragen, ob sie mehr als ein instrumentelles Verhältnis zueinander haben. Dem Autor von damals drängte sich der Verdacht auf, dass es den meisten weniger um echte Gemeinschaft und die Revolutionierung der Verkehrsformen miteinander ging, sondern eher um die Verwirklichung eines politischen Projekts, um mehr Effizienz in der Erledigung der Reproduktionsarbeit, um ein oberflächliches Zugehörigkeits- und Zusammenhaltsgefühl, um eine Fassade, die einen vor dem gefürchteten Vorwurf und den realen Schwierigkeiten der romantischen Zweierbeziehung – weithin abschätzig RZB genannt – schützt.
Die legitimen Hoffnungen und Wünsche, die Eltern damals schon an eine alternative Lebensform in Gemeinschaft hatten, stießen auf die im Abstrakten stecken gebliebene Haltung kinderloser Mitbewohner*innen:
„Bei uns war’s so, daß wir die Einzigen waren, die Viecher hatten [Anm.: *hust*, gemeint sind Kinder], dann war da noch ein Kater, Eigentum vom Vorsitzenden und von ihm umsorgt. Die Viecher wurden sofort abstrakt vergesellschaftet. Jeder wollte miterziehen und Objektperson sein. Aber auf die Wollhosen mussten die Eltern achten und auch die Kleinen entmisten. (Die Theorie wischt der Praxis nicht den Arsch ab). Wer keine Kinder hat, empfindet sie mit der Zeit als lästig und die Eltern etwas später.“
Den Kindern die Welt erklären wollen (miterziehen wollen) ist die eine Sache, ihr Heulen, ihr Gebrabbel und Geplärr am Essenstisch, ihre Macken und ihre Unselbständigkeit aushalten zu lernen, die Sauerreien vom Essen mehrmals am Tag geduldig wegzuwischen eine andere. Die Wollhosen sind 1969 wie 2018 ein Sinnbild für das Faktum, dass vielleicht gerade noch die Wäsche der WG-Küchenhandtücher „vergemeinschaftet“ wurde, die von allen propagierte „Teilung der Reproduktionsarbeit“ (hier nur im Sinne von Haushalt, von Zuwendung ganz zu schweigen) jedoch mit Ratlosigkeit vor dem Wäschesack des Babies kleinlaut wird (wie wäscht man eigentlich Wollsachen? Geht Kacke auch bei 40 Grad raus oder ist das dann unhygienisch? Oh Mann, das Baby hat Neurodermitis und braucht Spezialwaschmittel?). Und auch der Wäschesack steht noch sinnbildlich für die eigentliche Aufgabe, sein Leben zu großen Teilen einem Kind zu widmen, für das man sich lebenslang verbindlich entschieden hat – und nicht bis zum Ende des Studiums oder bis der nächste Job in einer anderen Stadt winkt.
Neben dem irrationalen Faktor (Liebe, Zuneigung, Sympathie), scheint also eine zweite, ganz nüchterne Sache das linksalternative Zusammenleben mit Kindern zu erschweren: Es ist die eine Sache, auf der nächsten feministischen Demo die „Care Revolution“ zu propagieren, aber eine ganz andere Sache, nach dem Nachhausekommen in die Kommune die eigenen Ansprüche in den eigenen vier Wänden mit Leben zu füllen. Wie übersetzt sich denn konkret der Slogan „Reproduktionsarbeit teilen!“, wenn damit mehr gemeint sein soll, als die WG-Küchenhandtücher abwechselnd zu waschen und sich den Haushalt einigermaßen gleich aufzuteilen? Wie wollen wir die „Kleinfamilie zerschlagen“, wenn die Erwartung an diejenigen, die nicht zur direkten Kleinfamilie gehören, vielleicht doch zu hoch ist, wirklich verbindlich, alltäglich und langfristig füreinander und insbesondere für Kinder Verantwortung zu übernehmen?
Die Diagnose und vorläufige Schlussfolgerung des Textes von 1969 ist ernüchternd. Und die Empfindung dieser Ernüchterung von damals hallt sicherlich auch heute in vielen wider, die sich erwartungsvoll in das Experiment eines alternativen Lebenszusammenhangs gewagt haben und das Gefühl haben, dass sich ein halbes Jahrhundert später nicht so viel getan hat, wie es auf den ersten Blick scheinen mag – viele Hausprojekte, ein feministischer Grundkonsens im linken Milieu mit ‚Care Revolution‘ als geteiltem Buzzword, das allseits geteilte Problembewusstsein beim Thema Kleinfamilie etc.
„Kommunen ohne Kinder sind oft zu unverbindlich und fluktuieren zu stark. Für das Aufbrechen der Familienstruktur leisten sie wenig, sind zu sehr Zufälligkeiten ausgesetzt. (…) Mit Kindern am Hals kann nicht jeder Partner eines gespregten Zweierverhältnisses – hoppla – ein ’neues Leben beginnen. Die Kinder sind an die Bezugspersonen gebunden (…) In der Arbeit des Kollektivs zeigt sich endlich, welches ‚linke‘ Bewusstsein der Praxis standhält oder nur aufgesetzt ist und vollzieht sich die Zerreißprobe der Theorie im Fleischwolf der Praxis, als deren Perspektive ein ‚glühendroter Morgen hinter dem kackbraunen Abendlandhimmel‘ aufdämmert.“
Wenn die Theorie der Praxis nicht den Arsch abwischt, was brauchen wir dann, um unsere Utopien leben zu können?