Ich bin gegangen, als Kinder kamen

von Linn

ViolA schreibt in ihrem Beitrag, wie enttäuschend es für sie war, als während ihrer Schwangerschaft und kurz nach der Geburt ihres Kindes mehrere Freund*innen die Freundschaft abbrachen. Und wie unzuverlässig eine linke Szene ist, die werdende Eltern aus ihrem Hausprojekt ausziehen lässt. Und in anderen Beiträgen in diesem Buch berichten Eltern, welche Herausforderung es darstellt, die Mitbewohner*innen tatsächlich in die Kinderbetreuung einzubinden, sodass sie nicht nur mal beim gemeinsamen Essen, am besten noch von den Eltern gekocht, dazu bereit sind, auch mal den Apfelsaft für die Kinder nachzufüllen. Und dann lese ich noch davon, wie schwer sich die sich auf individuelle Freiheiten berufenden Linke damit tun, verbindlich Eltern zu entlasten und einfach am Start zu sein, dauerhaft und umsichtig.

Ich kenne diese Situationen aus der gegenteiligen Perspektive. Ich bin die, die gegangen ist, als ihre beste Freundin schwanger wurde. Ich bin diejenige, die zwar nicht die werdenden Eltern aus dem Hausprojekt warf, aber die nach einer Weile selbst auszog, als Kinder hinzukamen. Und ja, ich bin auch diejenige, die seit inzwischen zwei Jahren intensive Auseinandersetzungen mit ihrem Partner darüber führt, warum und inwieweit sie in die Betreuung seines Sohnes eingebunden sein sollte.

Als meine damalige beste Freundin schwanger wurde, war dem bereits eine für unsere Freundschaft schwierige Zeit vorausgegangen: Meine Freundin verbrachte ihre freie Zeit zunehmend mit ihrem Partner. Anstatt ihren Urlaub oder ihre freien Wochenenden mit mir zu planen, rief sie kaum noch zurück. Dann der Anruf, dass sie schwanger sei – und das gleichzeitige Geständnis, dass sie Angst habe, unsere Freundschaft könne das eventuell nicht überstehen. So war es dann auch. Ich bemühte mich noch, ging mit zum Schwangeren-Yoga und besuchte sie öfters. Aber schon zur Geburt war ich nicht mehr Teil ihres Lebens, das Kind (inzwischen sind es zwei) kenne ich nur von Fotos.

Mir ist bewusst, dass Freundschaften oft zerbrechen, wenn Partnerschaft und Kinder ins Spiel kommen. Ich verstehe mich aber als Teil jener linken Zusammenhänge, die dieses Konzept der Kleinfamilie aufzubrechen versuchen. Für mich haben Freundschaften wie auch verbindliche Wohnzusammenhänge (oder andere verbindliche Gruppenstrukturen) politisch und sozial gesehen die Funktion, solidarische Netzwerke zu schaffen, die den Druck einer neoliberalen Gesellschaft auf das Individuum kreativ und gemeinschaftlich abzufedern versuchen sowie einer Vereinsamung der im Partnerroulette ›Übriggebliebenen‹ entgegenzuwirken: Partnerschaft bedeutet dann nicht mehr, auf die Nähe und auf die verbindliche wie alltägliche Unterstützung anderer neben dem*der Partner*in zu verzichten. Damit ist mein sozialer, politischer und emotionaler Anspruch an nicht-partnerschaftliche Beziehungen extrem hoch. Als meine Freundin sich in ihre Liebesbeziehung zurückzog und schließlich ihre Schwangerschaft verkündete, waren meine Enttäuschung, Verletzung und Einsamkeit entsprechend groß. Vielleicht wäre ich heute eher in der Lage, diese Gefühle zu kontextualisieren und darauf zu setzen, dass sie eine gute Freundin wie mich früher oder später wieder brauchen wird. Aber die grundsätzliche Enttäuschung – ich muss mich allein durchschlagen, bin sitzengelassen worden – wäre geblieben: Wenn es drauf ankommt, entscheidet sich die Freundin gegen mich.

Worauf ich hinauswill, ist ein Gefühl mangelnder Solidarität, ausgelöst durch jene, die „ihre Schäfchen ins Trockene“1 gebracht haben. Sie haben den Partner, die Partnerin, die unbedingt solidarisch mitgedacht werden muss, ich werde zur Option. Andersrum würde für mich ein Schuh draus: Wir verständigen uns auf ein verbindliches und solidarisches Miteinander, im Alltag und in der Zukunft, und nicht bis zum ersten Kind. Das würde dann bedeuten, meine Bedürfnisse, obwohl ich kein Teil der Liebesbeziehung bin, gleichwertig und selbstverständlich mitzuverhandeln. Ich möchte nicht behaupten, dass viele Liebesbeziehungen und Eltern das nicht versuchen. Ich möchte aber deutlich machen, dass es angesichts solcher Erfahrungen sowie einer Gesellschaft, die das ultimative Glücksversprechen in der Kleinfamilie propagiert, verdammt schwer ist, solche Gefühle und Ängste zu verarbeiten und in den Fällen, in denen Aushandlungsprozesse anstehen, nicht gleich aufzugeben und sich zurückzuziehen.

Überhaupt dieses gesellschaftliche Glücksideal. Ich weiß nicht, ob leibliche Kinder mich ›glücklich‹ machen würden. Wenn ich sehe, wie gestresst Eltern sind, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse über Jahre fast vollständig zurückstellen müssen, dass Kinder zwar immer wieder niedlich oder erschreckend klug, in jedem Fall emotional anrührend, aber vor allem auch oft anstrengend sind, jede Menge Arbeit bedeuten und das vor allem immerzu, rund um die Uhr; wenn ich das sehe, dann erscheint mir meine Freiheit kostbar. Ich kann meinen Hobbys nachgehen, mich entspannen, wenn mir danach ist, meine Tage beliebig mit Terminen vollpacken, spontan wegfahren und zwar genau dorthin, wohin ich möchte, ohne Kompromisse mit einem Kind schließen zu müssen. Es erscheint mir also wenig erstrebenswert, ein Kind zu haben. Und dennoch quält sie mich immer wieder, diese starke Sehnsucht danach, die mit Argumenten nichts zu tun hat. Und ich bin mir sicher, dass ein großer Anteil an dieser Sehnsucht die Angst ist, etwas zu verpassen, was doch zum Glück dazugehört, zu meinem Glück, aber auch zum Glück meiner Eltern. Dieser gesellschaftliche Druck und diese Norm üben einen massiven Druck aus, der es mir oft schwer macht, ›ungeplant‹ oder ›zufällig‹ gewordenen Eltern zu gratulieren und mich ehrlich mit ihnen zu freuen. Ich schreibe dies, um deutlich zu machen, welche Herausforderung es für mich bedeutet, in verbindlicher und alltäglicher Nähe zu Eltern und ihren Kindern zu sein.

Als ich dann, wie oben angedeutet, mit Eltern in einem Hausprojekt wohnte und diese sich – trotz Hausprojektanspruch – mehr und mehr Raum für kleinfamiliäre Strukturen schufen, fühlte ich mich erneut ins Abseits gedrängt und irgendwie übriggeblieben. Ihre Wünsche, auch mal nur mit ihren Kindern zu Abend zu essen, in das größere Zimmer umzuziehen, die Miete für die Kinderzimmer von uns querfinanzieren zu lassen und an der Zimmerrotation nicht mehr teilzunehmen, die Zahl der Übernachtungsgäste etwas zu reduzieren, um mehr Ruhe ins Miteinander zu bekommen, etc. konnte ich alle nachvollziehen. Aber was hatte das noch mit mir zu tun? Wo war ich da? Ich hatte nun weniger Menschen, mit denen ich zusammen zu Abend essen konnte oder die an meiner emotionalen Welt Anteil nahmen, weniger Menschen, mit denen ich einen WG-Urlaub machen würde, und das Gefühl, dass die Kleinfamilie durch Dick und Dünn gehen wird, mit mir aber ganz sicher nicht, war immer wieder präsent. Darauf hatte ich keine Lust. Ich zog schließlich aus.

Übrigens war mein Kontakt zu den alleinerziehenden Mitbewohnerinnen und ihren Kindern anders, dort blieb mein Gefühl der Verbundenheit bestehen und die gemeinsame Alltagsorganisation intakt. Wir waren weit davon entfernt, die Betreuungsarbeit verbindlich aufzuteilen. Aber wir aßen selbstverständlich zusammen zu Abend, fuhren gemeinsam in den Urlaub, ich baute enge Beziehungen zu ihren Kindern auf und übernahm immer mal wieder die Betreuung. Das Thema der ausschließenden Partnerschaft scheint mir daher für linke Strukturen, die darauf angewiesen sind, solidarische Netzwerke zu pflegen, besonders herausfordernd.

Heute lebe ich also nicht mehr in einem Hausprojekt und nachdem auch meine zweite beste Freundin die gemeinsame Zukunftsplanung (mit mir) zugunsten ihres Freundes aufgab, fühle ich mich darauf angewiesen, mich ebenfalls in einer Zweierbeziehung zu organisieren. Selbstverständlich pflege ich Netzwerke jenseits der Paarbeziehung, aber ich habe meine Priorisierung umgekehrt, damit ich nicht mehr diejenige bin, die irgendwie über ist. Heute bin ich diejenige, die Freundinnen nicht ausreichend Zeit und Aufmerksamkeit zukommen lässt, und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich meinen Alltag und meine Freizeit primär mit meinem Partner plane.

Alltag und Freizeit mit meinem Partner sind stark dadurch geprägt, dass er ein Kind mit in unsere Beziehung gebracht hat, das er im wöchentlichen Wechsel mit der Mutter betreut. Für mich bedeutet das, an sehr vielen Stellen auf Freiheiten zu verzichten. Wir können nicht in eine andere Stadt umziehen, obwohl uns das beide reizen würde, unsere Beziehungszeit zu zweit ist deutlich geringer, als das mit einem kinderlosen Partner der Fall wäre, und Freizeit bedeutet oftmals, mit den Bedürfnissen des Kindes Kompromisse einzugehen. Hinzu kommt der Wunsch meines Partners, in den Wochen, in denen sein Sohn bei ihm ist, umfassend von mir unterstützt zu werden. Ich reagiere darauf immer wieder mit Empörung. Zu Beginn unserer Beziehung forderte ich ihn auf, sich einen Babysitter zu suchen, wenn er mehr Freizeit wolle, und machte deutlich, dass ich nicht einsehe, warum ich meine Freizeit dafür beschränken solle. Inzwischen habe ich (glücklicherweise, sonst würde das zwischen uns nicht funktionieren) selbst Lust, mit dem Kind Zeit zu verbringen und mich in die Betreuung und Erziehung einzubringen. Aber der Wunsch nach einer umfassenden Verteilung der Anteile ruft in mir immer noch das Gefühl hervor: Es ist ja nicht mein Kind. Er ist Vater, deshalb muss er auch mehr machen, das ist gerecht. Ich bin kinderlos, deshalb darf ich auch mehr Freiheiten genießen. Und da stellt sich die Frage, weshalb ich mich als kinderlos empfinde, wenn ich doch gebeten werde, eine enge Bezugsperson für das Kind zu werden – so eng wie der Vater selbst. Und ich denke, da stoße ich wieder auf diese gesellschaftliche Glücksnorm.

In der Glücksnorm von Vater-Mutter-Kind Da sind nichtleibliche oder zumindest nicht durch Adoption irgendwie in eine Form klarer Zugehörigkeit gebrachte Beziehungen zu Kindern nicht mitgedacht. Zwar scherzen meine Eltern, dass sie bei gemeinsamen Besuchen großelterliche Gefühle entwickeln. Aber sie scherzen. Zwar denken sicherlich viele, wenn sie mich mit dem Kind sehen, dass ich die Mutter sei, aber sie täuschen sich. Es existieren noch nicht einmal Bezeichnungen für mich und das zu mir in unbenanntem Verhältnis stehenden Kind.

Warum ist das wichtig? Es ist deswegen wichtig, weil meiner Erfahrung nach die Beziehungsweisen, die nicht gesellschaftlich etabliert sind, bei wichtigen Lebensentscheidungen zurückstecken müssen. Der Macht dieser Norm bin ich bisher nicht entkommen. Freundschaft und eine Beziehung ohne Namen gelten überall weniger als eine Partnerschaft oder als Vater-Mutter-Kind. Es ist ein ungeheures Risiko, sein Leben auf alternativen Bindungen aufzubauen. Ich habe das versucht und blieb allein zurück. Für meine Zukunft kann ich dieses Risiko nicht einfach wegdenken oder wegfühlen.

Autor*in:

Linn lebte in mehreren Groß-WGs ohne Kinder und in einem Hausprojekt mit mehreren Kindern in Berlin, inzwischen wohnt sie alleine in Münster. Sie hat Geisteswissenschaften studiert und arbeitet nun auch in diesem Bereich.

1 Dieser Text entstand vor der Veröffentlichung von Anke Stellings großartigem Roman Schäfchen im Trockenen, insofern ist diese Formulierung anders gemeint als bei ihr: Nicht von finanzieller Absicherung ist hier die Rede, sondern von exkludierender Partnerschaft.

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