Links, feministisch, queer – Mutter impossible?!

von Mis Chief

Meine größeren Identitätskrisen glaubte ich eigentlich schon in den Twenties durchgestanden zu haben, als ich mit 37 plötzlich nicht mehr wusste, wer ich war oder wie ich eine coole Person sein kann. Ich hatte ein Baby geboren. Das Label »Mutter« aber fühlte sich nur falsch für mich an. Als Selbstbezeichnung kam mir das Wort nicht ohne Ironie über die Lippen und nannten andere mich »Mutter«, »Mutti« oder »Mama«, empfand ich das als harten Diss.

Queere Kontexte, in denen eine*r häufig nicht ungeplant schwanger werden kann, bringen wohlüberlegte Wunschkinder hervor – so auch mein Kind, welches in einer Co-Elternschaft ohne Liebesbeziehung entstanden ist. Auch als der kühne Plan in Form eines kleinen, stets fordernden Bündels von rapide steigendem Gewicht Realität geworden war: no regrets! Ich liebte mein Baby und es fiel mir leicht, gut für es zu sorgen. Nicht die unausweichliche Verantwortung, die absurden Arbeitszeiten, der Schlafentzug und die körperlichen Beschwerden, die mit Schwangerschaft, Geburt und Stillen einhergehen, machten mir zu schaffen. Damit kam ich irgendwie klar. Fertiggemacht hat mich der ganze gesellschaftliche Bullshit, der auf dich einprasselt, wenn du als linke, queere Feministin Mutter wirst.

Mutter – das miefte nach Kleinfamilie, Häuslichkeit und Abhängigkeit. Ich wollte einfach nicht zu dieser Kategorie dazugehören. Mütter lebten in einer Parallelwelt, mit der ich nur wenig Berührungspunkte hatte. Sie waren für mich Frauen, die ihre Babys in einer Kinderwagenarmada durch den Park schieben und sich dabei ausschließlich über die kleinen Biester unterhalten – Windeltalk. Dass ich bereits wenige Freundinnen hatte, die Mütter waren und diesem Klischee nicht entsprachen, änderte nichts an meinem Bild. Ausnahmen bestätigten die Regel. Mütter waren das Gegenteil von cool, selbstbestimmt, frei und sexy.

Dieses Bild wurde mir auch von anderen bestätigt. Ging ich mit dem Baby vor die Tür, lächelten mich spießige ältere Damen an, während ich für die coolen Szene-Menschen unsichtbar war. Ging ich ohne Baby vor die Tür, wurde ich von Bekannten begrüßt mit: »Na, konntest du dich mal loseisen?«, oder »Wo hast du denn dein Baby gelassen?«. Als sei es unangemessen oder zumindest bemerkenswert, dass ich überhaupt etwas ohne mein Kind mache. Selbst in meiner Wohngemeinschaft und meinem Freund*innenkreis hatte ich das Gefühl, unter verschärfter Beobachtung zu stehen. Alle schienen sich zu fragen: »Wie wird sie wohl als Mutter sein?« So als sei Mutterschaft eine komplett neue Identität – eine Transformation in eine andere Spezies, bei der all die feministischen Credits auf dem Spiel stehen.

Neben all den neuen Anforderungen, die ich in den ersten Monaten mit Baby zu bewältigen hatte, musste ich also zusätzlich beweisen, dass ich noch ganz die Alte war. Nicht nur den anderen – vorneweg mir selbst, denn ich hatte schließlich die größte Angst, mich im Mutterdasein aufzulösen. So war ich also auf der Hut – bloß nicht zu schnell aufspringen, wenn das Baby weint und der Papa auch im Raum ist. Dem Gespräch mit meinem Gegenüber aufmerksam folgen, auch wenn es eigentlich grad viel interessanter ist, dass das Baby sich ganz alleine die Packung mit den Feuchttüchern geschnappt hat. An den wichtigen politischen Themen dranbleiben und mitreden können. Mit schmerzenden Brüsten und todmüde nach der Veranstaltung noch mit Bier trinken gehen – schaut her, wie vorbildlich das bei uns mit dem Abpumpen klappt. Sicherheitshalber hatte ich mir noch eine hippe queere Frisur zugelegt. Und ganz wichtig natürlich: fernhalten von anderen Müttern, auf keinen Fall als Gruppe auftauchen, denn das wäre wirklich verdächtig.

Ich versuchte also alles, um nicht mütterlich zu wirken. Gleichzeitig wollte aber auch ich eine ›gute Mutter‹ für mein Baby sein – klar, ich hatte mich für dieses große Projekt entschieden und wollte es natürlich gut machen. Gar nicht so leicht, denn während die gesamtgesellschaftlichen Angebote zwischen ›Rabenmutter‹ und ›helicopter mom‹ nicht viel Platz lassen, um irgendetwas richtig zu machen, fehlen positive Bezüge auf Mutterschaft innerhalb linker und feministischer Diskurse erst recht. Seit Jahrzehnten bekämpfen Feminist*innen mit mäßigen Erfolgen die unfaire Aufteilung von Reproduktions- und Care-Arbeit. Vor diesem Hintergrund haftet der Mutterschaft von vornherein der Verdacht der Retraditionalisierung an. Absurderweise haben es dadurch auch in der linken Szene, die die patriarchale Ordnung und männliche Privilegien am schärfsten kritisiert, feministische Väter leichter als feministische Mütter. Oft beneide ich den Vater meines Babys um die wohlwollenden Blicke und anerkennenden Bemerkungen für die Übernahme von alltäglichen Sorgearbeiten, die für Väter selbstverständlich sein sollten und es noch immer bei Weitem nicht sind – nicht mal in der linken Blase. Ich bin neidisch auf die Nachsicht, die ihm zuteilwird, wenn er beim Essen über Babykacke redet, als sei das für alle anderen auch sehr spannend. Sagt er kurzfristig einen Vortrag in feministischer Theorie ab, um zu Hause bei Baby-Bauchweh zu entlasten, bekommt er dafür nicht nur Verständnis, sondern wird regelrecht mit Lob überschüttet. Schwer vorstellbar, dass es einer Wissenschaftlerin da genauso ergehen würde. Im Spiegel des Bruchs mit traditionellen Rollenverteilungen wirkt die engagierte Vaterschaft subversiv, die engagierte Mutterschaft hingegen reaktionär. Feministische Väter* dürfen ihre Vaterschaft laut und stolz leben, während feministische Mütter* eher für die Distanzierung von ihrer Mutter-Rolle Anerkennung bekommen.

Kürzlich hatte ich bei einer Veranstaltung zum Thema feministische Militanz Gelegenheit, mit zwei Urgesteinen der autonomen Frauen*Lesben-Bewegung der 80er-Jahre ins Gespräch zu kommen. Auf meine Frage nach Vereinbarkeit von Mutterschaft und radikalem Feminismus sagten sie, dass sie sich damals selbstverständlich verweigert hätten, als Gebärmaschinen zur Verfügung zu stehen. Kinder zu bekommen – vor allem leibliche – erschien ihnen in jeder Hinsicht als politisch falsch. Auch wenn sich heute in der queerfeministischen Szene wohl kaum noch jemand genau so äußern würde, sind diese Vorstellungen noch immer wirksam. So lassen einige erklärte Feminist*innen keine Gelegenheit aus zu betonen, dass sie Kinder generell nicht mögen und wie anstrengend Mütter* sind. Das ist vielleicht sogar im Ansatz verständlich, denn nach wie vor müssen sich weiblich sozialisierte Personen von einem enormen gesellschaftlichen Druck emanzipieren, ihre Erfüllung im Mutterglück zu suchen und Babys generell süß finden zu sollen. Dass aber Kinder- und Mütterbashing den eigenen Ansprüchen an einen intersektionalen Feminismus und eine solidarische Praxis widerspricht, wird leider oft nicht reflektiert.

Am besten ließe sich dem feministischen Ideal in der Tradition der autonomen Frauen*Lesben-Bewegung wohl auch heute noch dadurch entsprechen, keine Kinder zu bekommen. Ist dieser Zug abgefahren, so scheint es am zweitbesten, nicht zu doll Mutter* zu sein. Vorbilder sind hier Frauen*, die bestimmte Dinge tun, obwohl sie Mütter* sind: Mütter*, die trotzdem lohnarbeiten, demonstrieren, feiern gehen und schon im Wochenbett wieder bei ihrer Politgruppe auftauchen. Zu blöd, dass wir unsere Babys dennoch wickeln, anziehen, ausziehen, füttern, beruhigen, bespaßen und rumschleppen müssen und zwar nicht nur zu Hause, sondern auch in der Öffentlichkeit und bei linken Veranstaltungen. Meine anfängliche Scham dabei hat sich inzwischen in Trotz verwandelt.

Gerettet hat mich übrigens ein Gruppenchat – eine lose Vernetzung linker, feministischer Mütter*, die alle in der gleichen Stadt wohnen. Da ich ja nichts mit anderen Müttern* zu tun haben wollte, lehnte ich die ganze Schwangerschaft lang die wiederholten Einladungen einer begeisterten Freundin ab. Ihrer freundlichen Hartnäckigkeit habe ich zu verdanken, dass ich dann wenige Wochen nach der Geburt doch hinzugefügt wurde. Eine ganze Zeit lang las ich nur mit, erst reserviert, dann gespannt und schließlich begeistert. Irgendwann fand ich den Mut, mich aktiv zu beteiligen. Es tat unglaublich gut zu erfahren, dass ich nicht allein war mit meinen Startschwierigkeiten. In der Gruppe, die in vielerlei Hinsicht erfrischend divers ist, erlebe ich ein solidarisches Miteinander, das seinesgleichen sucht. Da ist es nicht so wichtig, ob oder wie lange eine stillt, ob die Kinder mit Holz oder Plastik spielen und ob man dem materialistischen Feminismus oder dem Queerfeminismus anhängt. Wir tauschen uns aus über Genderwahn bei Kinderkleidung und Spielzeug, feministische Sexualerziehung und tabuisierte gesundheitliche Probleme nach der Geburt, die Sehnsucht nach dem alten Leben und das verdammte erste Jahr. Es werden Life-Hacks, Irritationen im Alltag mit Kind, Diskriminierungserfahrungen, Buch-Tipps für kleine und große Menschen und spannende Artikel geteilt. Aber es geht auch um ganz praktische Fragen zu Stillen, Pre-Milch, Beikost, Schlafen, Verdauung, Fieber und Punkten dieser und jener Art, denn Windeltalk ist auch wichtig. Mit geballter Erfahrung und erstaunlich schnellen Reaktionszeiten werden kleinere und größere Krisen gemeinsam durchgestanden. Das meiste läuft digital, aber als ich mal geschrieben habe, dass mir die Decke auf den Kopf fällt, hatte ich fünf Minuten später zwei Verabredungsangebote, eins davon für den nächsten Tag.

Dank des wertvollen Austauschs mit anderen linken, feministischen Müttern* fühle ich mich heute nicht mehr allein und orientierungslos, sondern eher so, als ob ich am Anfang eines weiteren emanzipatorischen Prozesses stehe. Ich freue mich, zur richtigen Zeit am richtigen Ort Mutter geworden zu sein, um einen alten neuen feministischen Kampfplatz mitgestalten zu können. Und ich weiß jetzt, dass eine Kinderwagenarmada im Park durchaus eine gebildete Bande sein kann!

Autor*in:

Mis Chief ist eine sensible und wütende Anarchafeministin. Dem eigenen Pessimismus zum Trotz versucht sie sich immer wieder mal daran, etwas ›Richtiges im Falschen‹ zu schaffen, und scheitert nicht selten daran. Sie wünscht sich, in einer Welt zu leben, in der eine freundschaftsbasierte Lebensweise mit hoher Verbindlichkeit Standard ist und romantische Liebe und Sex sehr schöne Nebensachen sind.

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