… oder wie politisch ist eigentlich das Leben mit Kindern?
von Ana
Auf die Frage, ob ich eigentlich politisch aktiv bin, würde ich gern sagen: ich kümmere mich um Kinder. Das Leben mit Kindern ist eine Herausforderung, manchmal eine riesige Überforderung und vor allem eine große Freude. Es ist ein Glück für mich, drei jungen Menschen beim Aufwachsen zuzusehen und sie zu begleiten.
Die Heraus- und gelegentliche Überforderung liegt darin, dass diese Menschen verlässliche Hilfe von Erwachsenen brauchen. Je nach Alter unter Umständen für alles und fast immer. Ein großer Teil davon ist handfestes alltägliches Handeln wie: Essen kochen, Betten beziehen, Klamotten waschen, Zuhören, Fahrrad und warme Mütze organisieren und bei Bedarf reparieren, nachts wieder einkuscheln, wenn jemand schlecht träumt und am Krankenbett Trost spenden, ohne die eigene Angst in den Vordergrund zu stellen.
Ganz klar: Bevor ich Kinder bekommen habe, hatte ich mehr Zeit für Politik im öffentlichen Raum. Ich habe mich gegen Rassismus und für feministische und ökologische Themen engagiert. Seit die Kinder auf der Welt sind, gehe ich weiterhin ab und an auf Demos, aber die Zeit für solche Ereignisse ist knapp geworden.
Es ist nicht einfach. Generell ja schon nicht. Die Perversion des uns umgebenden Systems macht ja schon das Leben ohne Kinder an vielen Stellen herausfordernd.
Wie können wir leben, lieben, wohnen, arbeiten und glücklich sein in einer Gesellschaft, die auf Leistung, Heteronormativität, Konsum und Geld basiert? Die weiße und reiche Menschen privilegiert und so viele verschiedene andere Menschen diskriminiert?
Ich kann verstehen, wenn sich Menschen nicht vorstellen können, in dieser Gesamtscheiße Kinder zu bekommen. Aber ich kann es nicht verstehen, wenn diese Haltung gleichzeitig eine Solidarität mit den Menschen, die die Verantwortung für Kinder übernommen haben, vermissen lässt. Was wäre das für eine Utopie, die auf Kinder verzichtet?
Mache ich also nun, da es kleine Kinder gibt, in meinem Leben kaum Politik mehr? Nein, denn mein Alltag ist von politischen Überlegungen durchdrungen. Ich entscheide politisch, ich handle politisch – ich lebe mit Kindern.
Wenn politische Fragen die Oberfläche verlassen…
Angefangen bei so Kram wie Vornamen.
Genderneutral? Wofür wäre das gut? Gibt es da überhaupt schöne? Kann ich mir überhaupt vorstellen, dass meine Tochter kein Mädchen, oder mein Sohn kein Junge sein will? Unser ungeborenes Kind könnte auch intersexuell sein. Ist der Name da überhaupt so entscheidend?
Oder Klamotten der Kinder.
Klar die brauchen sie von Anfang an und die müssen funktional sein. Aber Stirnbänder mit Glitzerblümchen oder rosa Schneeanzüge wärmen nicht nur, sondern erfüllen noch weitere Funktionen. Das Shirt mit Feuerwehrmann Sam oder das pinke Kleidchen macht etwas mit meinem Kind und der Art, wie es von anderen wahrgenommen wird. Ich will, dass die Kindern selbst herausfinden können ob sie weiblich oder männlich oder ganz was anderes sind. Aber finde ich es problematisch, wenn meine Kinder immer als Jungen gelesen werden? Oder immer als Mädchen? Kann ich „Rosa ist für alle da“ oder „Röcke sind für alle da“ feiern wenn meine Tochter jeden Tag pinke Tüllröcke anziehen will, oder nur wenn mein Sohn damit rumläuft? Das gleiche gilt natürlich für Bob der Baumeister…
Spielsachen zum Beispiel.
Na? Kinderküche, Waschmaschine, Puppe Elli und ihrem Kleiderschrank oder lieber Werkzeugkasten, Hammerbank und die Kinderversion vom Bosch-Akkuschrauber? Was ist mit der Flut der Glitzerfeen und Pferde oder dem ganzen Ninjago und StarWars-Merch?
Was brauchen Kinder überhaupt und was prägt sie in ihrem Rollenverhalten vielleicht auf ewig? Wie schaffe ich einen Raum, in dem die Kinder wirklich unabhängig von den Erwartungen von Erwachsenen entscheiden können, was sie mögen?
Wie sind wir öko, ohne nur noch mit Geldverdienen beschäftigt zu sein?
Die ganzen guten und sozialverträglichen Ökoklamotten und Holzspielzeuge sind einfach unbezahlbar. Wie gehen wir damit um? Immer lange Weihnachtswunschlisten an Großeltern und andere Leute weiterleiten? Oder versuchen, gebrauchte Sachen zu bekommen? Oder einfach weniger, aber dafür besser fürs ökologische Gewissen? Ach und Ernährungsfragen (die Fleischfrage z.B.) fallen auch noch unter das Ökothema. Es stellt sich die Frage, was eigentlich gesunde Ernährung für ein kleines, mittelgroßes oder jugendliches Kind wäre. Quetschis (Fruchtpüree im praktischen Plastikbeutel mit Nuckelverschluss…) sind da ein gutes Beispiel. Die Kinder feiern es sehr, und Obst und Vitamine und so sind ja gesund, aber eigentlich ist es für die Zähne kacke und auch ein klares Wegwerfgesellschaftsphänomen. Aber muss ich jetzt alles im Unverpacktladen oder Bioladen kaufen? Womit wir auch wieder bei der Geldfrage wären…
Und dann … auf dem Spielplatz..
„Der Junge hinter dir will auch mal rutschen.“… hmm… vielleicht doch lieber „Kind“ sagen. Meinen Kindern sieht man nicht an, ob sie Jungen oder Mädchen sind, das kann bei anderen ja auch so sein. Das Gerede von Junge und Mädchen prägt die Sicht, in der andere Optionen fehlen.
„Mama und Papa“
Wie vermittele ich meinen Kindern, dass es Kinder gibt, die zwei Mütter haben und keinen Vater. Oder zwei Väter. Dass es Kinder gibt, in deren Leben nur ein Elternteil den Alltag bestreitet, oder dass Geschwister nicht unbedingt Kinder der gleichen Eltern sein müssen. Wir sagen nicht Mama und Papa, sondern Juli, Toni und Ana. Von anderen werde ich trotzdem so bezeichnet. Noch mehr Menschen, denen es was zu vermitteln gilt. Auch ist ja nicht jede Frau die mit meinen Kindern auf den Spielplatz geht deren Mama. Oder bezeichnet Mama eigentlich eh nur „Frau, die sich kümmert“…
Und beim Thema Sprache sind wir bei einem riesigen Feld.
Eieiei. Wie heißt es eigentlich? Kacke, Puller, Penisse, Vulven,… ? Wie selbstverständlich reden wir da eigentlich darüber? Im Gespräch mit Jugendlichen beim Sprechen über Sex, Kondome, über Konsens und über Pornos..; bei ungefähr allem stellt sich die Frage, wie reden wir?
Können wir wertschätzend über andere reden und damit eine bestimmte Sicht auf die Welt und Menschen vermitteln? Können wir klar und deutlich schimpfen, wenn wir das nötig finden, ohne verbal gewalttätig zu sein?
Mein älteres Kind Ben erzählt von jemandem in seiner Familie, der sagt, Merkel müsse weg und der sich über den Einzug der AfD in den bayerischen Landtag freut. Wie vermittele ich, was ich meine, wenn ich von Rechten spreche? Von Rassismus, Sexismus und Frauenfeindlichkeit? Wie vermittle ich einem weißen jungen Mann aus reichem Hause ein Gespür für seine Privilegien, wenn der sich kein Stück privilegiert fühlt? Und ohne, dass er sich schuldig fühlt?
Aber auch noch Fragen wie: Welche Kindergarten- und Schulkonzepte finde ich sinnvoll?
Hab ich überhaupt die Freiheit mir da Gedanken darum zu machen, oder muss ich eh nehmen, was ich bekommen kann? Was dient der Potentialentfaltung meiner Kinder, statt sie nur zu Systemtreuen werden zu lassen? In Einrichtungen alternativer Konzepte tummeln sich oft homogene Gruppen. Wie kommen wir aus dieser Blase raus? Will ich überhaupt, dass mein Kind die Welt außerhalb dieser Blase kennenlernt? Wann in seinem Leben?
Und die kapitalistische Arbeitswelt gibt uns ganz nebenbei auch noch große Fragen mit auf den Weg. Wie verteilen wir eigentlich Care- und Lohnarbeit? Lege ich da gerade ein systemkonformes Rollenverhalten an den Tag? Was will ich meinem Kind vorleben?
Welchen Umgang mit Geld vermittle ich meinem Kind?
Wir haben vielleicht weniger Geld als andere, aber dafür zum Beispiel mehr Zeit miteinander. Kann ich das Kindern und Jugendlichen vermitteln? Welche Regeln zu Besitz finde ich sinnig und bringe sie meinen Kindern bei? Wie thematisiere ich gesellschaftliche Regeln wie Nicht-Klauen? Und wie gehe ich dann damit um, wenn mein Kind beim Spielzeugtag im Kindergarten dann die Autos der anderen Kinder einsacken will?
Es ist ein emanzipatorischer Kampf, Kindern ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen.
Alles in allem finde ich: Wer versucht, mit einem emanzipatorischen Anspruch diesen Fragen zu begegnen und sich der politischen Dimmension des Lebens mit Kindern stellen will, hat sich für einen viele Jahre andauernden Prozess entschieden, der ihr*ihm andauernd Hirnschmalz, Präsenz und Reflexion abverlangt und oft tief an die eigene Substanz geht. Das kann man ruhig würdigen.
Aber ich meine nicht, dass der politische Aspekt des Lebens mit Kindern darin liegt, dass wir „neue Menschen“ erziehen und dann wird in Zukunft alles besser. Nee. Aber in einer so beknackten Gesellschaft mit Kindern zu leben ist eine Herausforderung. Und wenn wir auch noch an den Schnittstellen, an denen wir aus unserer linken Blase heraus dieser Gesellschaft begegnen (Spielplatz, Kita, Schule, Sportverein, Kirchengemeinde, Klassentreffen …), versuchen, unsere Überzeugungen weiterzugeben und für sie einzutreten, dann wird das Leben mit Kindern tatsächlich zum andauernden Kämpfen um Verhältnisse, in denen gutes Aufwachsen von Kindern möglich ist.
Und das Ende der Geschichte: Das Private ist und bleibt verdammt politisch.
Die meisten meiner persönlichen (Alltags)Entscheidungen haben eine politische Tragweite, die der Reflexion bedürfen, möglichst ohne daran krachen zu gehen. Und aktuell bin ich eben vor allem an den Themen dran, die mich und meine Kinder betreffen -und damit auch andere Kinder und Eltern. Für gendersensible Pädagogik streite ich nicht nur um meine eigenen Kinder zu schützen. Für familienverträgliche Arbeitszeiten für Väter* und für Sichtbarkeit und Akzeptanz von Mehr-als-Zwei-Eltern-Familien streite ich nicht nur unserer Familie zuliebe. Sondern ich verbinde meinen Einsatz für uns mit einer großen Solidarität und einer riesigen gesellschaftlichen Vision – das ist politisch!
Autor*in
Ana: lebt in einer funktionierenden Care Community: Insgesamt teilen sich 3 Elternteile die Verantwortung für Zwillinge und einen weiteren Jugendlichen. Warum noch eine Mutter für meine Kinder eine große Bereicherung ist.